"Gestern war ich mit Angelika in der Farnesina, wo die Fabel der Psyche gemalt ist. Wie oft und unter wie manchen Situationen hab' ich die bunten Kopien dieser Bilder in meinen Zimmern mit euch angesehn! Es fiel mir recht auf, da ich sie eben durch jene Kopien fast auswendig weiß. Dieser Saal oder vielmehr Galerie ist das Schönste, was ich von Dekoration kenne, so viel auch jetzt dran verdorben und restauriert ist." - Goethe in Rom, am 16.Juli 1787
Die Villa Farnesina befindet sich im römischen Stadtviertel Trastevere, entlang der Via della Lungara, gleich nach der Porta Settimiana.
Sie ist eines der schönsten Beispiele für eine Renaissance-Villa, wo alles "wichtig" ist: der Auftraggeber, die Funktion, der Architekt, die Künstler und Dekorateure, der ehemalige Garten. Alles hier ist zukunftsweisend: der Übergang der glorreichen Vergangenheit (die Antike) zur Neuzeit (der Humanismus) ist das Bindeglied für den Werdegang der römischen Kunst bis zum Zeitalter des Barocks.
Die Villa Farnesina ist unter diesen Namen erst ab dem Ende des 16.Jhdts. bekannt, als sie von den auf der gegenüberliegenden Tiberseite residierenden Familie Farnese einvernommen wurde. Die richtige Namensgebung müsste also Villa Farnesina ehemals Chigi heißen.
Agostino Chigi († 1520) wird in Siena am 1.Dezember 1466 geboren. Der Vater, Mariano Chigi, wird als Händler in den Adelsstand erhoben, nachdem er mit dem Kornhandel ein Vermögen verdient hatte. Agostino wird bald ein reicher Händler, Bankier und Kunstmäzen. Die Zeitgenossen nennen ihn "der Erhabene" (Il Magnifico). Agostino besitzt einen eigenen Hafen, Porto d'Ercole in der Toskana, der von seinen Schiffen aus Europa und Asien angesteuert wird. Die Seerepublik Venedig ehrt ihn mit dem Titel "Sohn von San Marco" und erteilt ihm das Privileg bei den Sitzungen des städtischen Senates neben dem Dogen Platz nehmen zu dürfen. Der Sultan von Konstantinopel bezeichnet ihn als den größten Händler der Christenheit ("Magnus Mercator Christianus").
Am Anfang des 16.Jhdts. verlegt er seinen Wohnsitz nach Rom, wo er bald geschäftlich am päpstlichen Hof eingebunden wird. Er wird drei Päpsten seine Dienste anbieten.
Im Jahre 1506 vernimmt er das Bedürfnis einer Villa Suburbana und erwirbt einen Baugrund in Trastevere, am Fuße des Janiculum-Hügels. Agostino Chigi wählt bewusst dieses abgelegene Areal, abseits von jedem Städtischen, isoliert von den anderen Bankiers, als Ort des Rückzuges gedacht.
In dieser herrlichen Villa kreisen Künstler, Dichter, Fürsten, Kardinäle und Päpste. Die hier veranstalteten Feste und Bankette sind in die Geschichte Roms eingegangen.
Der Architekt Baldassarre Peruzzi errichtet die Villa zwischen 1506 bis 1511. Sein Grundkonzept geht auf die Einheit zwischen Natur (der Ziergarten in Form eines Viridariums) und Kunst (das Gebäude).
Kunst und Natur sollten nach diesem antiken Begriff zu einer Einheit verschmelzen, zur Ergötzung von Körper und Geist.
Der Künstlerbiograph Vasari bezeichnet die Villa Chigi al Gebäude, welches "nicht mit Ziegeln und Mörtel errichtet sondern geboren" (im Sinne eines harmonischen Gewachsenen) sei.
Leider fiel groß teils der Gartenanlage der Errichtung der Tiber-Dämme nach der Einvernahme Roms von Seiten der königlichen Truppen 1871 zum Opfer, so dass das ursprüngliche Erscheinungsbild nicht dem heutigen entspricht. Der Garten passte sich einst an die Morphologie des Ortes an, eingeteilt in regelmäßige Beet-Trennung und wild zum Tiberufer abfallend.
Bei dieser Gelegenheit ging auch die Loggia am Flussufer verloren, wo die berühmten Feste des Bankiers stattfanden. Bekannt ist das fürstliche Bankett vom Sommer 1518, wo der Hausherr seinen Gästen die Speisen auf Gold- und Silbertellern servieren ließ, die anschließend in den Tiber geworfen wurden. Der weitsichtige Agostino ließ aber Netze unter dem Wasserspiegel ausspannen um das wertvolle Besteck wieder einsammeln zu können.
Die Gäste des Agostino Chigi betraten ursprünglich seine Villa von der Loggia im ersten Stock, eingeführt von den flankierenden Seitentrakten. Die Loggia öffnet sich zur Gartenseite hin und bildet durch ihre architektonische Beschaffenheit eine Osmose zwischen Gebäude und Garten. Raffael und seine Schule verblüfften den Besucher mit illusionierten Pergolae, die als Fortsetzung der Gartengestaltung in der Loggia gedacht waren.
Die mythologischen Szenen an der Decke, eingefasst durch Frucht- und Gemüsegirlanden, sollten den Besuchern als Denkanstoß zu Diskussionen über die Antike motivieren. Das Hauptthema der Loggia ist die Geschichte der irdischen Psyche die von den Göttern in ihren Stand aufgenommen wird. Raffael interpretiert hier den Mythos des Liebensgottes Amor und der Königstochter Psyche, entnommen aus Apuleius' Märchen vom Goldenen Esel (Metamorphoses, 4,28 - 6,24).
Agostino Chigi projiziert in dieses Märchen seine Beziehung zur Venezianerin Francesca Ordeaschi, die er nur auf Druck von Leo X. am 30.April 1519 heiraten wird, ein Jahr vor seinem Tod.
So wie die schöne Psyche, muss Francesca verschiedene Hürden überwinden um durch die Liebe des mächtigen Agostino eine soziale Anerkennung zu finden.
Das ganze Leben aber pflegte er eine Beziehung mit der reizenden und gebildeten Kurtisane Imperia.
Giovanni da Udine führt mit einer verblüffenden Genauigkeit die Festons und die Girlanden mit Früchten und Obstsorten aus. Man erkennt sogar einige aus America importierte Sorten: Mais oder Kürbis oder Artischocke.
Dieser "Saal" ist der erste der ganzen Villa, der ausgemalt wurde (1511-1512). Die Sujets sind mythologischen, astronomischen und astrologischen Ursprungs und spielen auf das Horoskop des Auftraggebers an: die Decke zeigt die Konstellationen des Pegasus und des großen Wagens. Die Allegorie (=Sinnbild) der Fama posauniert die Geburtsstunde des Agostino in die ganze Welt. Jüngste Forschungen haben festgestellt, dass die komplexen astrologischen Anspielungen in den Feldern, den Hexagonen, den Stichkappen und Pendentifs jene Stunde angeben, in welcher Agostino zu Welt kam: am 1.Dezember 1466. Im römischen Himmel erschien Jupiter im Sternzeichen des Widders, der Mond in der Jungfrau, Mars in der Lira, Merkur im Skorpion, die Sonne im Schützen, Venus im Steinbock und Saturn im Zeichen der Fische.
Das wichtigste Werk im Saal ist sicherlich die so genannte "Galatea Farnesina", eigenhändig von Raffael 1511 gemalt. Aus einem Brief an Baldassar Castiglione informiert Raffael über sein Vorhaben, die ideale Schönheit zu erzielen ("… und ich sage Ihnen, dass, um die Schönheit zu malen, man viele Schönheiten vor Augen haben muss … ich bediene mich einer eigenen Idee des Schönen, die ich im Kopf habe"), geschaffen aus einer ständigen Suche nach der Perfektion der Form. Stilistisch ist die Galatea jenen Arbeiten Raffaels gleichzusetzen, die er nahezu zeitgleich in den Stanzen im Vatikan anfertigt (Stanza der Segnatura und des Heliodor). Die Harmonie der Komposition und der musikalischen Rhythmisierung erheben diese Malerei zu eine der reinsten Ausdrücke der italienischen Renaissance. Es würde die "Galatea Farnesina" reichen, um dem aufmerksamen Besucher die gesamte Renaissance zu erklären.
Im Obergeschoss malt Baldassarre Peruzzi die Wanddekoration um 1517-18. Der Perspektivensaal ist eines der ersten Beispiele räumlicher Malerei, wo auf allen vier Wänden eine Durchbruch auf die umgebende Landschaft illusioniert wird. Bemerkenswert ist der Fußboden: die rechteckigen Marmorplatten werden in den illusionierten Balkon fortgeführt. Tatsache aber ist, dass der Fußboden aus dem 19.Jhdt. stammt und gerade dem Muster des gemalten Bodenbelages nachempfunden wurde.
Diese Wanddekoration geht direkt auf die antike illusionistische Freskomalerei des 1.Jhdt. nach Chr. zurück. Mentalitätsbedingt galt es für die Antiken Meister, die Wahrnehmung des Betrachters anzuspielen: es wird etwas vorgestäuscht, was es nicht gibt. Wandvorlagen, Simse, Giebel, Säulen... .